«ESG-Reporting kann man nicht über Nacht aufbauen.»
NeidhartSchön hat bei Kunden nachgefragt, welche Auswirkungen auf die Kommunikation sie von der kommende Regulierungswelle zu ESG-Themen erwarten. Ein Stimmungsbild aus Unternehmen, für welche Nachhaltigkeits-Reporting mehr als eine Pflichtübung ist.
Die Politik fordert von den Unternehmen dringend mehr Transparenz. Im April veröffentlichte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Corporate Sustainability Reporting Directive CSRD (1). In der Schweiz sind eine Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz für Unternehmen (2) sowie eine Änderung des Obligationenrechts in der Vernehmlassung (3). Mit den neuen Regeln steigt die Zahl der Unternehmen, die zu ESG-Faktoren (Environmental, Social, Corporate Governance) Auskunft geben müssen.
Kampf um Aufmerksamkeit
Wird es für Unternehmen schwieriger werden, sich mit Berichterstattung über ESG zu profilieren?
Für die Detailhändlerin Lidl Schweiz mit einer deutschen Muttergesellschaft ist Transparenz bereits heute ein Muss und weit mehr als ein Mittel zur Marktpositionierung, sagt Jenny Butterweck, die als Projektleiterin für die Publikation des Nachhaltigkeitsberichts verantwortlich ist. Denn der detaillierte Bericht liefert die Basis für die Informationen, welche letztlich die Kunden von Lidl Schweiz einfordern. Die Fakten finden zum Beispiel Verwendung auf Flyern in den Verkaufsstellen oder werden über Social Media verbreitet.
Dass der Kampf um Aufmerksamkeit immer härter wird, ist nicht neu, sagt Philipp Hodel, Leiter Kommunikation bei Zug Estates. Bereits heute ist es schwierig Nischen-Themen zu finden, um sich gegenüber den Peers abzuheben. Unternehmen, die bereits ein nachhaltiges Image verfügen, sind im Vorteil. Denn ein wirkungsvolles ESG-Reporting kann man nicht über Nacht aufbauen. Wer ein schlüssiges Impact-Reporting anbietet und auf Worte Taten folgen lässt, ist gut aufgestellt.
Stephanie Ossenbach, Senior Manager Corporate Sustainability bei dormakaba empfiehlt angesichts der rasanten Entwicklung, dass sich Unternehmen intern auf einen Kulturwandel vorbereiten. Es gibt in kurzer Zeit viel zu tun. Nicht nur, dass die Geschäftsleitung vor der Veröffentlichung der Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichterstattung mehr zu lesen hat, die Zusammenarbeit von Nachhaltigkeits- und Finanzmanagern wird enger werden.
Vergleiche zwischen Unternehmen bleiben vorläufig schwierig, selbst in derselben Branche.
Steigende Komplexität
Es kommen zusätzliche Pflichten der Berichterstattung auf die Unternehmen zu. Welche Auswirkungen hat das auf die Ausgestaltung des Reportings?
dormakaba hat bereits ein solides Berichtssystem, das die Lieferkette beleuchtet und von den Stakeholdern geschätzt wird. Für Stephanie Ossenbach heisst die Marschrichtung Integrated Reporting. Sie geht davon aus, dass ein Stand-alone-Nachhaltigkeitsbericht künftig nicht mehr genügen wird und dass nicht-finanzielle Indikatoren ebenso wie Finanzkennzahlen vermehrt extern geprüft werden. Die EU-Taxonomie ist aus ihrer Sicht nur ein erster Schritt dahin. Als Folge davon steigt die Komplexität der Kommunikation. Mit zielgruppenspezifischer Berichterstattung kann diese für die Leserinnen und Leser reduziert werden.
Auch bei Lidl Schweiz ist die Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette naturgemäss bereits sehr hoch. Denn die Qualitäten der Lieferanten sind entscheidend für den Markterfolg.
Für Philipp Hodel ist Reporting nicht mit Kommunikation gleichzusetzen. Die Berichterstattung liefert vielmehr den Fundus für gezielte, wirkungsvolle Kommunikation gegenüber den jeweiligen Anspruchsgruppen. Neue Offenlegungspflichten sind nicht für alle Stakeholder gleichermassen relevant. Zug Estates wird ab Herbst 2021 nach GRI-Standards rapportieren. Philipp Hodel geht davon aus, dass durch zusätzliche Pflichten der Aufwand für Reporting und Kommunikation steigen wird.
Ambition matters
Treiber im ESG-Reporting ist auch der Kapitalmarkt. Hatte 2018 gut die Hälfte der institutionellen Anleger ESG-Kriterien herangezogen, waren es 2020 schon zwei Drittel (4). Worauf sollen Investoren bei der Lektüre der Reports ihr Augenmerk legen?
Philipp Hodel empfiehlt Investoren sich darüber zu informieren, was ein Unternehmen punkto Nachhaltigkeit erreicht hat (Impact) und ob es ambitionierte Ziele verfolgt. Die Investitionen in nachhaltige Projekte belegt die Ernsthaftigkeit nachhaltigen Wirtschaftens. Finanzielle und nicht finanzielle Aspekte werden in einem guten Bericht miteinander verknüpft. So gewinnt ZugEstates mit nachhaltiger Bauweise zum Beispiel Mieter, die selber Reportingpflichten haben.
Bei dormakaba zeigt sich die wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeitsberichterstattung bei Ausschreibungen von Bauprojekten, wo mitunter ESG-Kriterien über einen Zuschlag entscheiden können. Ob ein Unternehmen ernsthaft über ESG-Themen berichtet, misst Stephanie Ossenbach wie Philipp Hodel daran, dass ambitionierte Ziele gesteckt werden, die sich in der Folge als erreichbar erweisen.
Vergleiche zwischen Unternehmen sind schwierig, selbst in derselben Branche, meint Jenny Butterweck, weil es an Standards fehlt. Als Beispiel nennt sie die Erhebung von Abfallkennzahlen und die unterschiedliche Definition von Food Waste. Lidl Schweiz setzt sich national wie auch international stark für Vereinheitlichungen ein. Die Erfahrungen bei Lidl Schweiz zeigen zudem, dass der Fokus der Berichterstattung von Land zu Land variiert. Tierwohl, Verpackungen oder Food Waste sind Hotspots in der Schweiz, in anderen Ländern haben andere Themen mehr Relevanz.
Bis zu einer Vergleichbarkeit der KPIs von einzelnen Unternehmen ist der Weg noch lang, meint Stephanie Ossenbach. Die Vielfalt der Rating-Systeme und der branchenspezifischen Konventionen wird sich daher auch künftig in der Vielfalt der Berichte niederschlagen.
Quellen:
(1) Website Europäische Kommission
(2) Publikationsplattform Fedlex des Bundesrechts
(3) Publikationsplattform Fedlex des Bundesrechts
(4) Gemäss Analyse des Londoner Beratungsunternehmens Greenwich Associates vom Juli 2020 zitiert im Forum für institutionelle Anleger