Hohe Erwartungen an die neue Transparenz

Die Vorschriften zu mehr Transparenz bei der nichtfinanziellen Berichterstattung werden das Reporting nachhaltig verändern. Die Geschäftsberichterstattung muss künftig mehr können, als Rechenschaft über das vergangene Jahr abzulegen und das Image zu stärken. Sie soll die «licence to operate» der Unternehmen sicherstellen und die Welt besser machen: eine Mammutaufgabe.

Erstpublikation The Reporting Times, No. 22/2023, Center for Corporate Reporting

DOMINIK MARBET
ist Leiter Public Affairs & Sustainability beim Versicherungsunternehmen Baloise. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Geschäftsberichterstattung und hat Erfahrung in der Unternehmenskommunikation, unter anderem in der IT-, Chemie- und Versicherungsbranche.

Der Klimawandel schreitet mit sichtbaren Auswirkungen voran. Der Wirtschaft kommt bei der Bekämpfung des Klimawandels eine grosse Rolle zu. Allerdings verläuft die Transition zu ressourcenschonenderen Geschäftsmodellen nicht in dem Tempo, das der Klimawandel vorgibt. Einer der Gründe liegt sicherlich darin, dass der Druck seitens des Kapitalmarkts und der Konsumenten für eine tiefgreifendere Transition bisher ausbleibt. Der Kapitalmarkt fokussiert sich in einem klassischen Ansatz vor allem auf spezifische ESG-Kriterien und weniger auf das breitere Verständnis von Nachhaltigkeit. Die Investoren wollen anhand dieser Bewertung vorwiegend wissen, wie das Umfeld (z.B. der Klimawandel) das Unternehmen respektive ein Investment beeinflusst (Outside-in-Perspektive). Im Geschäftsberichts-Reporting wurde dieser Umstand bereits seit Längerem aufgenommen, wie die steigende Zahl an Nachhaltigkeitsberichten zeigt.

«Die neue Transparenz sollte Ansporn sein, sich Gedanken darüber zu machen, wie zukunfts­gerichtet das eigene Geschäftsmodell ist.»

Regulierung soll Transition beschleunigen

Um den Klimawandel aber effektiv zu bekämpfen, braucht es eine breitere Stakeholder-Sichtweise auf das Thema, von ESG hin zur Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit schaut zusätzlich darauf, welchen Einfluss ein Geschäftsmodell auf das Umfeld und die Welt im Allgemeinen hat (Inside-out-Perspektive). Nachhaltigkeit schaut dabei nicht nur darauf, was ein Unternehmen macht, sondern auch, wie etwas gemacht wird, womit der Fokus auf der Unternehmensstrategie und dem Geschäftsmodell liegt. Die Kundinnen und Kunden sind heute zwar bezüglich nachhaltiger Geschäftsmodelle sensibilisiert, aber sie beteiligen sich bisher nicht in grösserem Masse an den Transaktionskosten, indem sie für nachhaltige Produkte mehr bezahlen wollen. Da sowohl seitens Kapital- als auch seitens Konsumentenmarkt grössere Impulse fehlen, wird die Transition noch nicht rasch genug vorangetrieben. Dieser Umstand ruft die Politik auf den Plan, welche die Transition der Wirtschaft mit Regulierung zu beschleu- nigen versucht.

2018 wurde der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums lanciert. Ursprünglich als Massnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele gedacht, war es der Start einer eigentlichen Regulierungswelle, die bis heute nicht abebbt. Ziel ist nichts anderes als der Umbau der Wirtschaft respektive deren Dekarbonisierung. Aus diesem Grund sind die Erwartungen an die Regulierung und die damit einhergehende Transparenz sehr hoch. Die Politik hat eine Erwartungshaltung geschürt, der man nur schwer gerecht werden kann. Insbesondere die neuen Vorschriften zur nichtfinanziellen Berichterstattung THE PARADOX OF TRANSPARENCY MARIE CLAIRE TABONE is a Project Manager at the Financial Reporting Council Lab where she focuses on a variety of non-financial and sustainability topics and how companies can improve their reporting practices. She is currently leading the Lab’s work on ESG data. HOHE ERWARTUNGEN AN DIE NEUE TRANSPARENZ fordern das Reporting der Unternehmen. Die Bedeutung des Reporting-Prozesses steigt erheblich, und die für die Geschäftsberichterstattung zuständigen Abteilungen erlangen plötzlich grosse Aufmerksamkeit. Mit der nichtfinanziellen Berichterstattung wird ein Produkt erschaffen, das neue Prozesse etabliert, die direkten Einfluss auf die Unternehmensstrategie haben werden. Transparenz allein ändert allerdings keine Geschäftsmodelle. Sie zeigt aber auf, welche Wirkung bisher lancierte Initiativen und Versprechen von Unternehmen entfalten. Dank der neuen Transparenz sollen Investoren und Konsumenten wissen, welche Unternehmen nachhaltig sind, und entsprechend ihr eigenes Verhalten anpassen, so die Idee des Gesetzgebers. Geschieht dies, beschleunigt es die aufgrund des Klimawandels dringend notwendige Transition.

Transparenz kann auch eine Chance sein

Die Unternehmen werden aber erst mal mit grossen Mehraufwänden konfrontiert sein, um überhaupt nur «compliant» zu sein. Die nichtfinanzielle Berichterstattung erfordert neue Fähigkeiten, die sich Unternehmen erst aneignen müssen, um der Erwartungshaltung gerecht zu werden. Künftig müssen nichtfinanzielle Unternehmensdaten offengelegt werden, die in den meisten Unternehmen bisher nicht oder auf sehr unterschiedliche Art und Weise erhoben wurden. Auch müssen die nichtfinanziellen Informationen entsprechend plausibilisiert und konsolidiert werden. Dies bedingt das Aufsetzen neuer Prozesse, ein Mehraufwand ohne direkten bzw. kurzfristig ersichtlichen betriebswirtschaftlichen Nutzen. Es wird Zeit vergehen, bis die nichtfinanzielle Berichterstattung etabliert und der neue Unternehmens­bericht­erstattungsprozess eingespielt ist. Zeit, in der die Transition von Geschäftsmodellen ins Stocken zu geraten droht. Dies wiederum kann zu Frust mangels Wirkung der Regulierung bei Politik und Öffentlichkeit führen. Trifft dies ein, wird der Gesetzgeber tun, was er am besten kann: abermals neue Gesetze ausarbeiten, die direkt in die Geschäftsmodelle von Unternehmen eingreifen. Ein solches Szenario wünscht sich niemand und es wäre für eine freie Marktwirtschaft fatal.

«Transparenz allein ändert allerdings keine Geschäftsmodelle.»

Unternehmen tun gut daran, die neuen Offenlegungsvorschriften daher auch als Chance zu sehen. Selbst Unternehmen, die sich bisher nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander- gesetzt haben oder keine grösseren Ambitionen haben, müssen die Vorschriften umsetzen und sich dabei auch zu den Chancen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten äussern. Die neue Transparenz sollte Ansporn sein, sich Gedanken darüber zu machen, wie zukunftsgerichtet das eigene Geschäftsmodell ist, und seine Unternehmensstrategie wenn notwendig anzupassen.

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